Pain Of Salvation

One Hour By The Concrete Lake

( English translation by Google Translation by Google )

CD-Review

Reviewdatum: 15.04.2008
Jahr: 1998

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Redakteur(e):

Christian Gerecht


One Hour By The Concrete Lake, Inside Out Music (SPV), 1998
Daniel GildenlöwLead Vocals, Guitar
Johan HallgrenGuitar, Vocals
Johan LangellDrums, Percussion, Vocals
Kristoffer GildenlöwBass, Vocals
Fredrik HermanssonKeyboards
Produziert von: Anders "Theo" Theander and Pain Of Salvation Länge: 60 Min 00 Sek Medium: CD
01. Spirit Of The Land07. Home
02. Inside08. Black Hills
03. The Big Machine09. Pilgrim
04. New Year's Eve10. Shore Serenity
05. Handful Of Nothing11. Inside Out
06. Water

Das zweite Album der schwedischen Prog-Rocker ist ein Konzeptalbum par Exellance, das sich um den Beton-See in der Nähe des russischen Nuklearforschungszentrum Majak dreht. Ein Thema, das, beschäftigt man sich für eine Weile damit, tiefste Beklemmungen und Ängste auszulösen vermag. Als ich Ende der 1990er darüber recherchierte, hat mich das zutage geförderte, das gebe ich offen zu, Nächte lang nicht schlafen lassen.

Der Titel dieses Albums bezieht sich nämlich auf den Karatschai-See unweit der russischen Stadt Kyschtym. In deren Nähe wurde zu stalinistischen Zeiten das Kernforschungszentrum Majak (zu Deutsch Leuchtfeuer) errichtet. Natürlich diente Majak in erster Linie militärischen Zwecken, vornehmlich der Plutonium-Gewinnung. Dass sich der Russe (vornehmlich spreche ich da natürlich die oberen Führungsschichten an) noch nie besonders um die Umwelt und um seine Mitmenschen gekümmert hat, ist ja heute nichts Neues. Was sich aber in Majak ereignete, war die wohl sprichwörtliche Hölle auf Erden und der größte Umweltskandal, der jemals in die Annalen der Geschichte eingegangen ist. Eine Zeitbombe, die übrigens noch heute mit derselben Bedrohung tickt. -Und das auch noch in tausend Jahren tun wird!

Ich will nicht allzu weit ausholen, geht es doch primär um eine CD-Rezension und nicht die Anklageschrift einer Umweltorganisation. Zum besseren Verständnis würde ich aber doch gerne ein paar Eckdaten setzen:
Der erste, ab 1948 in Majak betriebene Reaktor war nämlich sozusagen mit einem offenen Kühlsystem versehen. Das Wasser des Flüsschens Tetscha, das unweit von Majak mehrere Seen speist, wurde zur Kühlung direkt in den Reaktor geleitet. -Und natürlich, höchst radioaktiv belastet, auch wieder hinaus! Wesentlich schlimmeren Ausmaßes waren aber die radioaktiven Nuklide, die durch die Plutoniumgewinnung entstanden und ebenfalls im weit mäandernden Flusssystem der Tetscha entsorgt wurden. Dabei war der Fluss zugleich Trink- und Brauchwasserreservoir für über einhunderttausend Menschen! Über die massiv auftretenden Todesfälle dieser Region setzte sich der sowjetische Staatsapparat Anfangs hinweg. Dann behalf er sich damit, dass ab 1951 die höchst radioaktiv belasteten Abwässer und Nuklide Majaks in den nahen Karatschai-See geleitet wurden. Erst um 1953 begann man sukzessive, die radioaktiven Abfälle in großen Betontanks von 240 t Inhalt zu sammeln. Einer dieser Tanks führte zur größten nuklearen Katastrophe der Menschheitsgeschichte.

Die Apokalypse von Majak ereignete sich am 29. September 1957; bahnte sich aber schon im Verlauf des Jahres 1956 an. Durch radioaktiven Zerfall verursachten die Nuklide der Plutonium-Aufbereitung eine nicht unerhebliche Wärme, weshalb die Abfalltanks gekühlt werden mussten. Bei besagtem Tank waren die Kühlleitungen undicht geworden, worauf die Bedienungsmannschaft mit dem Abschalten der Kühlung reagierte. Da man sich nur halbherzig um die Reparatur der Kühlleitungen bemühte, begannen die Inhalte des Tanks durch die enorme Wärmeentwicklung zu trocknen und bildeten dabei offensichtlich große Mengen Acetate und hochexplosiver Nitritsalze. Ausgelöst durch den Funken eines Kontrollgeräts explodierten die Salze mitsamt des übrigen Inhalts und setzten dabei eine ungeheuere Menge an Radioaktivität frei. Die Detonation war so gewaltig, dass sie noch in mehreren hundert Kilometern zu sehen war. Zeitzeugen berichteten von einer Art Polarlicht (das in dieser Region aber nie auftritt). Heute weiß man, dass die enorm hohe Radioaktivität zu einer Ionisierung der Atmosphäre führte und dieses Phänomen erzeugte. Der Fallout war so verstrahlt, dass die umliegenden Birkenwälder innerhalb von Stunden sämtliche Blätter verloren! Da der Wind dieser Tage aber nach Osten wehte, konnte der Skandal über dreißig Jahre vor der Welt verheimlicht werden. Wieviele Opfer die Wolke und deren radioaktiver Fallout forderten, ist bis heute unbekannt. Tausende Menschen aus der Umgebung mussten unfreiwillig an den Aufräumungsarbeiten teilnehmen. Die meisten davon starben einen grausamen Strahlentod.

Aber mit dieser Katastrophe war es noch nicht genug!
Durch längere Trockenperioden und die vermutlich gleichen Zerfallsprozesse wie in besagten Tanks, trocknete der Karatschai-See in den 1960er Jahren beinahe komplett aus. Nach einer weiteren Trockenheit in 1968 war der Seeboden freigelegt und durch starke Ostwinde wurden dessen Sedimente, wieder unbemerkt durch westliche Messstationen, in einem Gebiet von ca. 2000 qkm verteilt. Dieser erneute GAU belastete eine halbe Million Menschen mit etwa derselben Radioaktivität, wie sie durch die Atombombenexplosion von Hiroshima verursacht wurde! Nach und nach wurde den Verantwortlichen nun langsam bewusst, welches "Ei" sie sich mit dem See gelegt hatten und man veranlasste ab 1978 dessen Zubetonierung. Wieviele Opfer dieses Prozedere forderte, ist ebenfalls unbekannt. Nur soviel: Der See hat eine Fläche von 0,5 qkm; den betonierte man also nicht mit fünf Betonmischern auf die Schnelle zu! Die Arbeiten dauerten deshalb acht lange Jahre! Immerhin wurden die Seitenfenster der Lkws mit Bleiplatten verkleidet. Ein immenser Schutz! Noch heute liegt die Strahlung an den "Ufern" des Karatschai bei einer Stundendosis von 50 Gray! Eine Strahlungsdimension, die beim Menschen innerhalb von einer Stunde (hier haben wir also die Verbindung zum Albumtitel) zum Tode führt!

Diesen haaresträubenden Moloch im Herzen des Urals haben sich PAIN OF SALVATION also nun zum Gegenstand ihres zweiten Albums gemacht und gehen das Thema eigentlich auch sehr engagiert an. Wer sich mit dem Hintergrund um die Geschichte des Karatschai diesem Album nähert, wird aber vermutlich erst mal enttäuscht sein. Weder die apokalyptische Bedrohung, noch die unglaubliche Beklemmung dieses Themas können durch die Kompositionen von PAIN OF SALVATION auch nur annähernd erreicht werden. Doch schon nach dem zweiten Hördurchgang stellt man sich unweigerlich die Frage, ob eine solche Beklemmung dieses Ausmaßes überhaupt musikalisch umgesetzt werden kann. Gut, es gibt ein, zwei Prog(Metal)bands, denen ich eine solche, real-apokalyptische Umsetzung dieses Themas zutrauen würde, aber die haben sich nun mal den "Concrete Lake" nicht als Album-Konzept ausgesucht. Bleibt also das, was PAIN OF SALVATION daraus machten! Um deren Konzept zu verstehen, muss man sich aber etwas tiefer in das Album einhören. Dann, das verspreche ich euch, jagt es einem in einigen Parts eisige Schauer über den Rücken! PAIN OF SALVATION gehen ihren "Concrete Lake" eher hintergründig an, wiegen den Hörer (bewusst?) in Sicherheit um dann mit exzellent eingebautenmMetall-Riffs, Breaks und teilweise an die Nieren gehenden Gesang zuzuschlagen. Dass assoziiere ich wie verbotene Schläge beim Boxen; sie tun meist mehr weh, als der erlaubte Schlagabtausch!

Eröffnet wird das Album mit einem kurzen, fast schon "krautigen" Intro namens Spirit Of The Land, das direkt in das drückende Inside übergeht. Die Magie, die späteren Takes dieser Scheibe zu eigen ist, baut sich hier nur langsam auf. Dennoch ist die Nummer ein Opener, der auf den beginnenden Kollaps hinweist und einen erstklassigen Spannungsbogen zur nächsten Nummer schlägt. The Big Machine lässt dann keine Wünsche mehr offen, ist überaus spannend komponiert und lässt einen, vor allem in den Gesangsparts, aber auch in seinen fetten Riffs und genialen Breaks regelrecht erschauern. Schafft also die Atmosphäre, die der oben Genannten sehr nahe kommt.
Das folgende Take New Years Eve kann diese, fast greifbare Bedrohung leider nur bedingt halten. Versteht mich nicht falsch, der Track ist sehr gut arrangiert und aufgebaut, aber just in dem Moment, in dem man meint, jetzt kommt der Hammer (also unmittelbar nach The Big Engine), ist mir das Stück, trotz seiner Vorzüge einfach ein Stückchen zu brav. Anders Handful Of Nothing: Diese Nummer ist ungemein spannend aufgemacht und wirkt, vor allem nach mehrmaligem Hören, in sich sehr geschlossen, kann aber trotzdem nicht die Steilvorlage von The Big Engine verwerten. Ein mechanisch-kaltes Riff verbindet Handful Of Nothing mit dem folgenden Water. Wer hier nun ein dahinplätscherndes Wässerchen (sagt der Russe nicht Wodka dazu?!) vermutet, liegt, trotz des verdächtigen Anfangs, komplett daneben. Hier lässt die Band stellenweise die echte Prog Metal-Sau raus und beinharte Riffs harmonieren, bis zum nächsten Break, auf einmal mit fast zu bravem Chorgesang. Home schließt sich Water nahtlos an und gibt erst mal so richtig Gas. Kaum kommt der Gedanke auf, dass es jetzt wohl richtig losgehen könnte, schaltet ein, zugegeben, intelligent eingebauter Break, zwei Gänge zurück.
Auch diese Nummer ist sehr gut, gibt zwischendrin auch wieder mächtig Zunder, aber an die Extrahierung von Plutonium, verseuchte Seen oder verstrahlte Menschen muss ich dabei nicht zwanghaft denken. Wohl aber bei Black Hills.
Schon die Riffs mit dem beeindruckenden Kanalwechsel, deuten auf Angst, Tod und Vernichtung hin. Der schleppend-beängstigende Gesang "For hundred of years you've hurt this land - Eating what's there, leaving a wasteland - But there are no space to hold all your mistakes" tut sein übriges. Die das Ende einleitenden Piano-Akkorde schlagen einen irren Spannungsbogen zu einem wahren Gitarrengewitter, mit dem das Stück ausklingt. Ein erstklassiges Take!
Ebenso erstklassig: das kurz gehaltene, akustisch-verhaltene Pilgrim. Da taucht sie auf, die Spannung, die Beklemmung, die Urangst vor etwas Unbeherrschbarem. Im ersten Hördurchgang war mir Pilgrim noch so eine Heavy-Version von From Absent Friends, mit dem einst GENESIS ihre beiden Monumentalnummern The Musical Box und The Return Of The Giant Hogweed trennten. -Aber weit gefehlt! Diesen Part übernimmt bei "One Hour By The Concrete Lake" eher der genauso kurze Titel Shore Serenity. -Und er tut das ebenfalls auf beeindruckende Weise! Ein genialer Spannungsbogen zum Longtrack des Albums: einem verzweifelten Aufschrei Namens Inside Out!
Boah, Leute, das ist Prog Metal par Exellance! Hier holen die Schweden all das nach, was sie in dem einen oder anderem Vorgängertitel nur angedeutet hatten. Nein, keine schleppende Nummer, die den Finger in die Wunde legt, sondern ein Paradeexemplar an vorwärtsstürmenden Prog, von beeindruckenden, akustischen Breaks und einer nicht minder beeindruckenden Vokalleistung! -Die Bestürzung und Verzweiflung lebt hier mehr von den Gesangsparts, den unvermittelten Breaks, dem bombenteppichartigem Drumming und vor allem von einem beinahe mehrere Minuten dauernden Intermezzo, das in leisen, aber nun wirklich beängstigenden Geräuschkollagen, die wirkliche Bedrohung des "Concrete Lake" verdeutlicht. Die folgende kurze Vokaleinlage nebst Klanggewitter mit ausklingendem, anklagenden Cello, hinterlässt den Hörer mit genau dem Fragezeichen im Kopf, das ich mir bei diesem Thema wünsche und dass dieses Konzeptalbum hervorzurufen versucht.
Letztendlich gelingt es "One Hour By The Concrete Lake" doch, dass man sich mit diesem unsäglichen Frevel, der Mensch und Natur für Jahrtausende angetan wurde, auseinandersetzt, sich über den goldenen Schnitt von Technik und nur schwer beherrschbarer Physik Gedanken macht und dadurch für sich ein bisschen ins Reine kommt. (Sofern man hier überhaupt jemals ins Reine kommen kann)!

Klar, Tool hätten dieses Thema sicherlich effizienter und wirklich bedrohender umsetzen können. Aber Tool sind mit "Lateralus" und "10000 Days" in andere Welten vorgestoßen und sind beileibe auch nicht der Nabel der Welt. Letztendlich kochen auch sie nur mit Wasser. Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass eine Umsetzung dieses Themas durch die vier amerikanischen Ausnahmemusiker einer meiner geheimsten Wünsche ist. -Beziehungsweise war; denn jetzt wisst ihr das ja alle ... Für dieses Album heißt es in jedem Fall: Themenauswahl, musikalische Umsetzung, Vokalleistung, Arrangements und auch Artwork sehr gut gelungen!

Christian Gerecht, 15.04.2008

 

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