Tag 1

Die blumigen Vorschusslorbeeren haben sich glücklicherweise bestätigt. Der erste Tag des Oberhausener 'Static Roots Festival' rieselte völlig entspannt durch vielen Stunden zwischen 17 Uhr und 23:30 Uhr. Viele bekannte Gesichter versammelten sich zunächst im großen Innenhof des stillgelegten Industriegeländes. Großes Hallo im Sonnenschein. Die Food Trucks und Getränkewagen kuschelten sich im Schatten der Jahrzehnte alten Altenberger Bäume und verhießen lukullisches Allerlei.

Die anfänglich noch nicht ganz gefüllte Halle präsentierte sich auf angenehme Temperaturen heruntergekühlt und machte es den Anwesenden leicht, sich auf die ultralässigen ONE ELEVEN HEAVY einzulassen, die mit ihrer unbekümmerten Hippie-Attitüde gute Laune versprühten. Die Musik der Jungs, die sich momentan auf ausgedehnter Europatournee befinden, verspühte ein ausgelassenes und spielfreudiges Jam-Rock beflügeltes Flair das an alte Helden wie GRATEFUL DEAD erinnerte. Allerdings muss ich für mich persönlich konstatieren, dass mir ihre Musik auf Platte besser gefällt als im Live-Kontext, was nicht zuletzt an den doch etwas blassen Lead-Stimmen der beiden Masterminds Nick Maiato und James Toth liegen mag.

Den ersten Höhepunkt markierte die zierliche Singer-Songwriterin Evangeline Gentle aus Ontario (Kanada), die ihre zerbrechliche Statur mit ihrer großen Fender Mustang Gitarre und einer noch gewaltigeren Stimme konterkarierte. Wunderschöne Songs mit gemäßigtem Pop-Flavour, die ihre subtile Schönheit durch diese alles gefangen nehmende Stimme aufgewertet sahen. Der beeindruckende Solo-Auftritt der hörbar vom Publikum wertgeschätzten Blondine bewies, dass es durchaus funktionieren kann, eine One-Woman-Show eine Dreiviertelstunde lang am Köcheln zu halten. Am Ende ihres Gigs stieß ihr langjähriger Mentor und Produzent Jim Bryson hinzu, verlieh dem ohnehin gelungenem Auftritt zusätzliche Würze, während er Evangelines Song-Finale mit zielsicheren Backing Vocals ergänzte. 

Apropos Jim Bryson, der angesehene Produzentenstar aus Kanada: der Meister stiefelte nach einer kurzen Umbaupause höchst persönlich auf die Altenberger Bretter und verzettelte sich während seines Gigs in endlosem Geschwafel, das zwar mitunter ganz amüsant rüberkam (sofern man voll und ganz der englischen Sprache mächtig ist), unterm Strich aber die Dynamik seines Auftritts ziemlich zerbröseln ließ. Stringente Songkultur klingt in meinen Ohren jedenfalls anders.

In Gestalt der irischen ROWAN folgte der nächste Paukenschlag auf dem Fuße. Das junge Trio peitschte seinen lauten Mix aus mächtigem Indie und Garage-Rock ohne Rücksicht auf Verluste durch die Festhalle. Dylan Howes schrammelige Telecaster schnitt zunächst wie eine nachlässig geölte Kreissäge durch die Ohren, bis sich dann nach drei, vier Songs alles zum Guten wendete und ROWAN mit ihren hymnischen Songperlen zu glänzen verstanden. Nicht selten blitzten Schlaglichter solchen Kollegen wie THE STROKES auf, gelegentlich fühlte man sich sogar an frühe KINGS OF LEON oder ganz frühe RADIOHEAD erinnert. ROWAN lieferten mit ihren eingängigen Ohrwürmern einen überzeugenden und fulminanten Auftritt ab.

Zum Ende des launigen Abends schwappte der absolute Höhepunkt dann wie eine gewaltige Welle über die inzwischen sehr zahlreich versammelten Zuhörer im Auditorium Altenberg. THE CORDOVAS untermauerten ihren Ruf als tolle Live-Band mit einer derartig eindrucksvollen Performance, dass zum Schluss kein Blatt Papier mehr zwischen Publikum und Band passte. Das sind die Momente in denen man wieder weiß, warum seit fünfzig Jahren diesem Phänomen Rock'n'Roll Music hinterherhechelt. Die spürbare Präsenz der sichtlich aufgewühlten CORDOVAS war im besten Wortsinne infizierend. Die Band startete ihren Gig zunächst als Akustiktrio und unterstrich seine gesangliche Meisterschaft mit allerfeinst aufeinander abgestimmten Harmony Vocals. Ihr anschließender elektrifizierter Teil der Show bleibt bei vielen Anwesenden sicherlich als der Auftritt des Jahres in Erinnerung. Pure Energie, Staunen machende instrumentale Meisterschaft an Gitarre und Bass und stimmungsvolle Band-Publikum Interaktion, die zum krönenden Abschluss in jubilierenden "High Kind Of Feeling" Chören mündete und allesamt atemlos zurückließ. Grandios.

Tag 2

Ganz so als lägen die Wellen der Begeisterung noch in der Luft, ergriffen die bezaubernden Damen von WOOLF den Staffelstab der CORDOVAS am frühen Samstagnachmittag und boten dem neugierigen Publikum zum Einstieg in den zweiten Tag ein Konzert der Extraklasse. Wobei Extraklasse fast noch zu kurz greift. Für mich persönlich als Gesangsfetischisten darf man die sangesfreudigen Damen aus unserem schönen Nachbarland Holland durchaus in Kategorie Weltklasse einstufen. Gerade mal fünf Meter von der Bühne entfernt, ließ ich mich nur allzu gerne von WOOLF und ihren exquisiten Harmony Vocals einfangen. Man spürte förmlich die eng ineinander verzahnten Harmonien auf sich niederregnen. Ein wohliger Schauer folgte auf den nächsten. Dass das Trio dann auch noch wie selbstverständlich Akustikgitarre, Ukulele, Mandoline und Banjo zu bedienen verstand, geriet da schon fast zur Nebensache. Der Gesang der Drei: Just Magic. Falls demnächst wieder Live-Konzerte der drei Holländerinnen in Aussicht stehen, rate ich allen Freunden guter Musik unbedingt hinzugehen.

Derweil tummelten sich im Innenhof des Zentrum Altenberg die selben freundlichen Gesichter wie am Vortag und noch einige mehr. Bei Temperaturen über 30 Grad Celcius geriet das Event zu einem Sommercamp für unentwegte Musikbegeisterte. Ein Treffen Gleichgesinnter. Gefühlt war der zweite Tag des Festivals tatsächlich besser besucht als der Freitag. Später machte die Zahl 306 die Runde. Zur Freude des Veranstalters und aller Künstler. Und ja, um es vorwegzunehmen, die über die Jahre gewachsene und kolportierte Meinung, das Static Roots Festival sei eines der freundlichsten und entspanntesten Musikfeste europaweit, kann ich nur bestätigen.

Mikaela und Jordan Burchill, die zwei süßen Turteltäubchen aus Austin/Texas, schickten sich an, den blendend eingeläuteten Nachmittag mit Grandezza fortzusetzen. Mikaela reihte sich nahtlos in die angefangene Reihe toller Frauenstimmen und bot mit ihrem ebenfalls singenden und großartig Akustikgitarre spielenden Ehemann ein supersympathisches Duo, dass seine Singer-Songwriter und Folk-Wurzeln mit einer gut abgestimmten Menge fluffigen Pop-Appeals würzte. Liebenswert.

Draußen im Hof derweil wieder großes Hallo, Grinsen, Gelächter und Gläserklirren. Das Bier und das Wasser stets gut gekühlt, waren die Umbaupausen schon fast zu kurz, um sich hinreichend auszutauschen. Eine Freude.

Der musikalischen Höhepunkte noch nicht genug, setzten die kanadischen HELLO DARLINS noch einen drauf und bezirzten das Publikum mit Americana-Sounds der Extraklasse. Mit voller Bandbesetzung und bestens ausgesteuertem Saalsound zeigten sie den Fans wie präsent und mitreißend eine Truppe hochprofessioneller Musiker sein kann. Da stimmte einfach alles. Gesang und Instrumente bildeten eine unzerstörbare Allianz. Ziemlich berauschend und unbedingt empfehlenswert.

Hey, große Pause. Herrlich! Zeit zum Durchschnaufen. Weil die Luft draußen gegen 18:30 Uhr immer noch heiß genug war und die T-Shirts am Leib klebten, wusste man die guten, alten Bäume im Innenhof um so mehr zu schätzen. Und der ganze hungrige Haufen sang derweil ein Loblied auf die leckeren Angebote beider Food-Trucks. Die große Pause endete quasi mit einem wuseligen und aufgeregt geschwätzigen Gruppenfoto im Innenhof. Kollege Ulrich Maurer von gaesteliste.de gab den souveränen Fotomeister.

Da die ausgedehnte Pause für mich und einige andere dann doch nicht lang genug war, die Gespäche draußen anregend und launig gerieten, schlitterte ich ungewollt in die Zwangslage von Dylan Earl wenig berichten zu können. Die drei, vier Lieder die ich schließlich verfolgen konnte, zeigten einen selbstbewussten, schlaksigen Cowboy, der rein optisch aus der Zeit gefallen zu sein schien. Mr. Earl sah aber auch sowas von krass Achtziger Jahre mäßig aus, dass man glaubte einen Nachfahren von Detective Magnum vor sich zu haben. Der Künstler zeigte sich redselig und as Country as Country can be. Mit seiner sonoren Baritonstimme transportierte Earl ein gutes Stück Südstaatenkultur nach Oberhausen.

Der Gig der zierlichen Malin Petterson stand ein wenig unter dem Fluch des nicht ganz professionell ausgesteuerten Sounds. Warum auch immer sahen sich die Verantwortlichen hinterm Mischpult nicht in der Lage das nervige Feedbackpiepsen in den Griff zu kriegen. Da konnten einem die Künstler auf der Bühne schon ein wenig leid tun. Das nimmt Fahrt raus und verleidet dem Musiker den Genuss an seinem eigenen Schaffen. Die Band der artig lächelnden Norwegerin meisterte die missliche Situation hoch erhobenen Hauptes, ließ sich nicht unterkriegen und wurde für ihre beherzte Americana meets Nordicana Darbietung vom Oberhausener Publikum nicht weniger freundlich umarmt als alle anderen Künstler zuvor.

Ferris & Sylvester brachten dann eine unerwartet heftige Rock-Kante ins Spiel. Archie Sylvester malträtierte seine Gibson Les Paul Klampfe zeitweilig mit gefletschten Zähnen und spielte Licks und Riffs aus der Jimmy Page Schule, wobei die Dampfhammer Rockstücke nicht unbedingt zeppelinesk klangen, sondern eher wie Lenny Kravitz zu Zeiten seines Debütalbums. Das britische Trio, das durch einen gut groovenden Drummer mit wallender Feuermähne unterstützt wurde, zauberte seinen ziemlich unverwechselbaren Ferris & Sylvester Sound mit Selbstbewusstsein und instrumentaler Meisterschaft auf die Bühne. Welch ein herrlicher Spaß.

Das Finale dieses großartigen Festivals wurde standesgemäß von einem guten alten Bekannten eingeläutet: John Blek & The Rats feierten zum Einen ein Wiedersehen mit dem Static Roots Festival (sie gastierten gestern schon zum vierten Mal auf den SRF) und zum Anderen auch den zehnten Geburtstag ihres Debütalbums "Leave Your Love At The Door". Grund genug die Korken knallen zu lassen. Festival-Impressario und Möglichmacher Dietmar Leibecke wurde zu Recht noch einmal in den Americana-Olymp gehoben und für sein gutes Händchen bei der trefflichen Musikauswahl gelobhudelt, während die versammelte Fanschar sich nicht lange bitten ließ und mit den irischen Musikern so etwas wie eine schäumende Gospel, Country und Folk-Messe beging. Beschriebe man die Atmosphäre der John Blek'schen Musikstunde mit einem Augenzwinkern, käme man womöglich zu der Erkenntnis: fast so wie Van Morrison, nur mit viel besserer Laune. Beschwingt, ausgelassen und stimmkräftig bis in die letzte Saalecke feierte das Publikum sich selbst und die Künstler. Und wenn ihr jetzt mal ganz still seid, werden ihr das Echo des des Festivals noch lange nachhallen hören. Machen wir es zur verabschiedung schlicht und kurz: Es war einfach herrlich. Ich freue mich auf ein Wiedersehen. Danke.

(Fotos: Gudi Bodenstein)

 

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