Turbonegro

Retox

( English translation by Google Translation by Google )

CD-Review

Reviewdatum: 01.01.2000
Jahr: 2007

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Redakteur(e):

Jürgen Ruland


Retox, edel records GmbH, 2007
Hank Von HelveteGesang
EuroboyLeadgitarre
Rune RebellionRhythmusgitarre
Pal Pot PampariusGitarre/Keyboards
Happy-TomBass
Chris SummersSchlagzeug
Produziert von: Anders Moller, Chris Sansom Länge: 39 Min 39 Sek Medium: CD
01. We're Gonna Drop The Atom Bomb07. I Wanna Come
02. Welcome To The Garbage Dump08. You Must Bleed/All Night Long
03. Hell Toupée09. Hot And Filthy
04. Stroke The Shaft10. Every Body Loves A Chubby Dude
05. No, I'm Alpha Male11. What Rock?!
06. Do You Do You Dig Destruction

Quo vadis Scandinavia? Als während der zweiten Neunzigerhälfte dem Rock'n'Roll ein heftiger Arschtritt aus dem hohen Norden verpasst wurde, schien die Tristesse der Jammerlappen-Ära aus Seattle mit einem Schlag wie weggefegt. Eine Dekade weiter stellt sich Ernüchterung ein.

GLUECIFER sind Geschichte, die HELLACOPTERS verabschieden sich gerade mit ihrem obskuren Cover-Album "Head Off" und die einstige grosse Hoffnung BACKYARD BABIES konnte nie mehr an ihren Überflieger "Total 13" anknüpfen.
Der Norden lebt nach wie vor, aber inzwischen ist man auf dem harten Boden der Tatsachen zurück gekehrt. Der nordamerikanische Markt konnte nicht geknackt werden, während die meisten Acts sich zumindest in Europa einen ansehnlichen Kreis von Anhängern erspielen konnte. Neue Verkaufsrekorde wurden nicht erzielt, doch während Tourneen spielte man oftmals vor vollen Häusern.
Neuere skandinavische Bands versuchen zudem mit weniger Punk und mehr Hard Rock (THE SOULSHAKE EXPRESS, MÄRVEL) zu punkten. Die viel versprechenden THE HIGH HATS scheuen sich nicht, Klassiker á la RAMONES oder den BEACH BOYS unüberhörbar zu zitieren.
Die vielleicht beste aller ehemaligen und neuen Schweinerocker, Death Punker, Northern Rock'n'Roller oder wie immer man dieses Phänomen auch nennen möchte, die einmaligen und unerreichten TURBONEGRO hatten zuletzt mit einer Tourabsage zu kämpfen. Lead-Gitarrero Euroboy fiel krankheitsbedingt aus und die Konzerte dadurch leider ins Wasser. Ob deswegen auch der aktuelle Longplayer nicht so recht aus den Puschen kam bleibt gewiss ein Thema für hitzige Diskussionen unter den Hardcore-Fans der Nordmänner.
Fakt ist, das Album rockt auch über ein Jahr nach seiner Veröffentlichung wie die gerne zitierte Sau und soll deshalb zumindest hier an dieser Stelle eine weitere, weil hoch verdiente, Chance erhalten, den Rest der Menschheit mittels seiner unnachahmlichen Musik zu beglücken.

What Is Rock?! Rock is the area between the balls and the anus .
Wieder 'was dazugelernt. Weisheiten wie diese vermitteln uns in der Regel nur solche Koryphäen wie TURBONEGRO. Darum lieben (oder hassen?) wir (... und die Turbojugend ...) sie doch, diese skandinavische Institution des Death-Punk. Was Death-Punk ist? Ein krude Mixtur aus Hardrock, Punk, Rock, Garagen-Krach und Stadion-tauglichen Hymnen. Eigentlich gibt es diesen Death-Punk nur einmal, nämlich in persona TURBONEGRO.
Hardcore-Turbos werden gewiss auch dieses Mal ihre Probleme mit "Retox", dem offiziell achten Album in neunzehn Jahren Bandhistorie, haben. Spätestens seit "Scandinavian Leather" (2003) haben die Norweger ihren Stil verfeinert bzw. ausgebaut. Mal fällt das Songmaterial dreckig und heftig, mal durchaus poppig aus und ein weiteres mal überrascht man mit einem Schwenk vom Brachialtempo hin zu mit angezogener Handbremse eingehämmerten Tracks. Als Songschreiber hat sich das Sextett jedenfalls erheblich weiterentwickelt, ohne sich allerdings beim Mainstream anzubiedern. Textlich bleibt man derbe, skurril, abgedreht und für die "normale" menschliche Gesellschaft inakzeptabel. Wen's stört ...

Vorbei die Zeiten eines "Apocalypse Dudes" (1998), als die Wikinger (!?!?) zumeist mit simplen, mitreißenden AC/DC-Riffs einen hochmelodischen Punk plus Zutaten aus Marke Westcoast, Rockabilly, Garage, Glamrock und Pop-Appeal auf die immer größer werdende Fan-Schar abfeuerten. Bis zum Jahre 2007 hatte man längst eine ureigene Mischung entwickelt und seine eigene Nische gefunden. Nische? Njet, im Falle TURBONEGRO lässt sich von Plattform oder Bühne reden. Die einzelnen Tracks wurden immer weiter verfeinert, ohne ihren einzigartigen Charme zu verlieren. Bestes Beispiel das anfangs zitierte What Is Rock?!, in welchem sich über einen Zeitraum von sechs Minuten und sechsundvierzig Sekunden viele Stil- und Spielarten der Band um den genialen Gitarristen Euroboy und den sich von Album zu Album steigernden Frontmann Hank Von Helvete wiederfinden. Von Helvete, der sich früher (heute auch noch?) auf der Bühne des öfteren eine brennende Wunderkerze in die Kimme schob, singt mittlerweile besser als jemals zuvor. So aggressiv, melodisch und gleichzeitig theatralisch hat der Schrecken aller Schwiegermütter nie zuvor geklungen.

In I Wanna Come bettelt der "Ausnahme"-Sänger regelrecht darum, zu einer Party kommen zu dürfen. Das Tempo bleibt jedoch nicht immer so verhalten wie in diesem "melancholischen" (?!?!) Track, es geht auch brachialer. We're Gonna Drop The Atom Bomb; No, I'm Alpha Male oder You Must Bleed/All Night Long lassen den Putz von der Decke rieseln. Hell Toupée stampft herrlich durch die Weltgeschichte und "Ich bin ein Wiener Schnitzel ..." (Every Body Loves A Chubby Dude) rockt das Haus. Zitat: "Come On And Feed Me ...", das Machwerk weist unüberhörbare Parallelen zum überirdischen Get It On ("Apocalypse Dudes", 1998) auf.
TURBONEGRO haben es verstanden, ihre Liebe zum Satzgesang á la CHEAP TRICK weiter zu entwickeln sowie ihren Death-Punk mit poppigen und gleichzeitig hymnenhaften Refrains zu bereichern.

Die Band hat sich noch einmal weiterentwickelt und klingt besser denn je. Das liegt nicht unbedingt ausschließlich an den einzelnen Songs, die hier und da auch den einen oder anderen Hänger haben. Im Prinzip steht das Projekt TURBONEGRO allerdings wie eine "Eins" und spielt mittlerweile in einer Liga mit AC/DC, den RAMONES oder SLAYER. Die Gruppe gilt inzwischen als Musterbeispiel für eine klassische Rockband mit eigenem Sound. Den Touch des Undergrounds hat man beibehalten und somit das entscheidende Maß an Glaubwürdigkeit, welches auch die zuvor erwähnten Acts auszeichnet(e).
Die eigentlichen Aufnahmen zu "Retox" wurden bereits im Herbst 2006 abgeschlossen. Im darauf folgenden Januar 2007 begab sich der musikalische Kern der Band, bestehend aus Euroboy, Happy-Tom und Chris Summers nach Hoboken, New Jersey, um die Aufnahmen mit John Agnello abzumischen. Dieser, ein Eastcoast-Studioveteran, welcher seine Karriere bereits Ende der 70er Jahre während der Aufnahmen des KISS-Album "Dynasty" (1979) in New York City als Aschenbecherlieferant(!) begann, sorgte mit seinen über die Jahre erlangten Fähigkeiten für einen großartigen Mix. Das Ziel der Gruppe, die direkte, drängende Energie ihrer frühen Punkaufnahmen mit ihren inzwischen erreichten Fähigkeiten und Stärken zu verbinden, wurde locker erreicht. Aus 23(!) fertigen Songs wählte man letztlich 11 Tracks für den neuen, knapp vierzigminütigen Longplayer aus.

Es mag sein, dass sich in einigen Kreisen nach wie vor das Missverständnis hält, TURBONEGRO wären nicht mehr als ein schlechter Witz aus Matrosenmützchen, Stahlhelmen, schlechtem Make-Up und eventuell brennenden Wunderkerzen in Körperöffnungen. Die Wahrheit ist, dass die Musiker längst eine großartige Rockband mit eigenem Sound und tonnenweise Persönlichkeit sind. "Retox" ist der definitive Beweis !!!!

(Das vorliegende Promotion-Exemplar enthielt nicht die beiden Bonus-Tracks, welche zumindest auf der Erstauflage vorhanden sind. Nach einem kurzen Höreindruck mittels total ramponierten Kopfhörern in einem Konsumtempel der ehemaligen Geilheit des Geizes liess sich sagen, dass auch diese nahtlos das hohe Level der Songs der Promo-CD hielten.)

Jürgen Ruland, 22.08.08

 

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