Das Alpenglühen hat hierzulande keinen besonders guten Ruf: zu viel bräsige Luis Trenker-Romantik, zu viel Schnulz und Schmalz. Aber tatsächlich ist es ein Naturschauspiel sondergleichen, wenn die Sonne hinter einer markanten Gebirgskette verschwindet und dabei alles in ein warmes, orangenes Licht taucht. Für einen Moment scheint dann die Zeit still zu stehen…

Ein solches Gefühl muss auch das Sextett aus Minnesota gehabt haben, als sie dieses Album im berühmten Loft von Jeff Tweedy aufnahmen. Zwar gibt es in Chicago ebenso wenig einen Alpenblick wie in der Heimat von TRAMPLED BY TURTLES, aber das Gefühl, dass die Zeit für einen Moment stillsteht und alle Fragen der Welt zwar gestellt werden können, aber keine Antworten benötigen, lässt sich auch fernab der Berge in Songs bannen. „We hoped that the listener would feel this group of separate songs as one piece of work; the natural outcome of this particular group of people in this particular time and place“, schreibt die Band zur Veröffentlichung von „Alpenglow“, ihrem inzwischen zehnten Album.

Und folgerichtig lassen es Songwriter Dave Simonett und seine exzellenten Mitmusiker dieses Mal zumeist langsamer und nachdenklicher angehen. Keine wilden Banjo-duels-Mandolin-Ritte mehr, keine überbordenden Hit-the-Highway-Songs. Vielmehr legen die TURTLES, die wie so viele Blue- und Newgrass-Bands ohnehin eine perfekt eingespielte Combo sind, dieses Mal umso mehr Wert auf die Nuancen – etwa wenn die Fiddle in All The Good Times Are Gone wie ein am Horizont verschwindender Zug ertönt oder wenn sich die Melodie von Nothing But Blue Skies aus einem verspielten Intro plötzlich klar mit wunderbaren Harmonien hervorschält.

Auch „Alpenglow“ ist, wie so viele Alben dieser Tage, eine Corona-Platte. Tour verschoben, zuhause sitzen und das eigene Leben überdenken – da stellen sich viele (existentielle) Fragen. Wobei die überraschendste hier nicht von Dave Simonett gestellt wird, sondern von Produzent Jeff Tweedy in dem einen Song, den der WILCO-Mastermind beisteuern durfte. A Lifetime To Find lässt den Sänger auf einer durchaus beschwingten Melodie direkt mit dem Tod sprechen: „Oh death, oh death, I was just getting dressed. The place is a mess. I was hoping you’d forget but I can feel you in my chest…“ Und Tod antwortet durchaus verständnisvoll: „Oh yes, oh yes, Death never rests. I can see you’ve done your best. The problem is, it is too late for regrets. I am here to collect.“ Und dann beide: „It takes a lifetime to find, a life like the life that you had in mind…“

Wer nun aber glaubt, dass dieses Album – auch angesichts solch depressiver Songtitel wie Quitting Is Rough, All The Good Times Are Gone oder The Party’s Over – mächtig aufs Gemüt drückt, irrt gewaltig. Die zumeist getragene, warme Saitenarbeit der TURTLES fühlt sich vielmehr an, wie eine innige Umarmung guter Freunde, die nach dem Alpenglühen auch durch die dunkle Nacht trägt. Und wem das trotz aller schöner Harmonien doch zu wenig ist, kann sich immer wieder am – wenn auch eher leisen – Bluegrass-Stomper Starting Over erfreuen. Das Banjo pluckert, die Fiddle springt wie ein junges Fohlen umher und der Sechser singt beseelt „Sure as hell, I get back to you“… Wird live ganz sicher ein Kracher und Publikumsfavorit…