Mother Tongue

Cameran

Berlin, ColumbiaFritz, 27.10.2003

( English translation by Google Translation by Google )

Konzertbericht

Reviewdatum: 27.10.2003

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Redakteur(e):

Ralf Stierlen


Berlin, ColumbiaFritz, 27.10.2003

Es war im Jahre 1994, als ein Album von vier Herren aus Kalifornien für eine mittlere Explosion in nach dem Abgang des Grunge dahinsiechenden Alternativerockkreisen sorgte. MOTHER TONGUE brachten ihr auf dem Blues wurzelndes Debütalbum heraus, das vor innerer Spannung, Leidenschaft, Wut, Extase und Verzweiflung zu bersten schien. Eine Hoffnung für alle, die an die Rückkehr großer Rockmusik in der Tradition der 70er Jahre glaubten, ein Licht am Ende des Tunnels.
Und dann kam... nichts. Die Band löste sich, von Zwistigkeiten untereinander und mit dem Musikbusiness sowie persönlichen Schicksalsschlägen zerrieben, 1996 auf. Doch es gab einen gar nicht so kleinen Haufen Verrückter, sehr viele davon in Deutschland, die das Ende nicht wahr haben wollten, immer wieder von Reunion-Konzerten faselten und von neuen Songs fabulierten. Und tatsächlich: Ein kleines Wunder geschah, und im Jahre 2002 erschien das zweite reguläre Album "Streetlight", das neben dem Fundament des Rock und Blues auch viele Soulelemente enthielt.
Und ein zweites Wunder geschah: Nur ein Jahr nach "Streetlight" erschien "Ghost note" (siehe Review), das mit vorsichtigen Anleihen an die Pop- und Jazzmusik unter einer konstant rockigen Prämisse die Klangwelt von MOTHER TONGUE abrundete.
Im Rahmen der Promotion des Albums ist die Band, seit dem "Comeback" in der Besetzung mit den Ur-Mitglieder Davo und Chris Leibfried und den später hinzugekommenen Brya Tulao und Sascha Popovic dieses Jahr permanent live unterwegs, so auch heute in Berlins rappelvollem ColumbiaFritz.

Cameran Zunächst gab es die Support Acts zu bewältigen. Zuerst CAMERAN, eine ursprünglich österreichische Band, die jetzt in Großbritannien residiert. Und, leider, zum nicht mehr zu zählenden Male eine Horde Hardcore/Crossover-Brüllaffen darstellt.
Das Geknüppel ist ja schon genug, aber die Übergänge in ruhigere Parts geraten der Band so elegant wie Auffahrunfälle mit Blechschäden. Und ein Instrumental, bei dem sich Sänger George ans Xylophon setzt (wie süß) ist so spannend wie weißer Farbe beim Trocknen zuzusehen. Aber das schönste: Die fünf Zappelphilippe spielen 40 Minuten!!! Was habe ich nur verbrochen...

Freakoutfamily Aber alles geht vorüber und nach einer recht flotten Umbaupause stehen FREAKOUTFAMILY als zweiter Support auf der Bühne. Und da schlägt die Stimmung aber ganz schnell um: Das Power-Trio aus Lüneburg mischt seinen fulminanten, äußerst partytauglichen Vortrag mit ein bißchen Funk, ein wenig Punk und etwas Stonerwürze und RRRRRockkkkkt!!! Noch dazu kündigt Sänger und Gitarrist Chris (tolle Röhre, Wahnsinnsbrett) MOTHER TONGUE dermaßen euphorisch an, daß er später bei Davo & Co. mal kurz über die Bühne maschieren darf.
Volle Punktzahl für die Nordlichter und hoffentlich bald mehr von ihnen zu hören als die hübsche, aber zu kurze Promo-CD.

Mother Tongue Als dann so gegen 22.00 Uhr endlich MOTHER TONGUE auf der Bühne stehen, herrscht eine geradezu spirituelle Atmosphäre. Die Zuschauer quetschen sich förmlich an den Bühnenrand, um den Kontakt mit der Band so eng wie möglich, regelrecht körperlich zu gestalten. Davo verteilt erst mal zwei Flaschen Bier ans Auditorium und dan geht's los mit Darkside baby, dem "Ghost note"-Opener, gefolgt von Coming home. Schon jetzt wird klar, daß dieses Konzert etwas außergewöhnliches sein wird: Die Wechselwirkung zwischen Band und Publikum ist vom ersten Moment intakt, der Funke zündet beidseitig.
Davo betont dann auch (richtigerweise), daß sie zwar Kalifornier sind, aber die Band inzwischen in Deutschland ihre Heimat gefunden hat, da hier unzählige Fans immer an sie geglaubt und sie vorbehaltlos unterstützt haben und dies auch weiter tun (da ist dann immer so schön von Loyalität die Rede, aber das klingt mir zu sehr nach Beamtentum).
Auf jeden Fall dürfte MOTHER TONGUE nirgendwo eine derart treue und zahlreiche Gefolgschaft haben wie hier zulande. Und ich habe in Berlin, wo man sich gerne etwas reservierter gibt, selten ein Publikum so abgehen sehen wie hier.

Alien und The void von "Ghost note" werden frenetisch gefeiert, dann kommt quasi die Zustandsbeschreibung der Band Mitte der Neunziger Jahre, Broken, von dem grandiosen Debütalbum, das übrigens demnächst im hochwertigen Digipack und mit dem einen oder anderen Bonustrack von NOIS-O-LUTION wieder aufgelegt wird (man muß also nicht auf den Billig-Release von Sony zurückgreifen).

Mother Tongue Leicht zynisch widmet Davo, der als einziger verbal mit dem Publikum kommuniziert, während Bryan und Chris eher schüchtern und verschlossen wirken (Sascha ist zwar extrovertiert, aber hinter dem Schlagzeug versteckt), den nächsten Titel vom Debütalbum, Burn baby, seiner kalifornischen Heimat.
Nach dem bedrohlich-düsteren Casper vom "Streetlight"-Album folgt ein weiterer Klassiker mit Damage.
Ja, das faszinierende an MOTHER TONGUE sind nicht nur die gespielten Noten, sondern auch die weggelassenen, die die sich aufbauende Spannung noch verstärken, der Begriff "Ghost note" macht daher Sinn.

Dem leicht country-infizierten Trouble came schließt sich das mehr als nur leicht psychedelische The storm an. Der "Streetlight"-Brecher CRMBL beschließt mit Jägermeister-Break von Davo, der obligatorischen Stagedive-Einlage eines ausgesuchten Freiwilligen aus dem Publikum (ein zweiter darf sogar ans Mikro und mehrfach "CRMBL" brüllen) und der in diesen Tagen auch schon obligatorischen Johnny-Cash-Reminiszenz das euphorisch gefeierte Set.
Als Zugaben folgen noch He's the man, That man, F.T.W. sowie das von den DOORS, PINK FLOYD, Jimi Hendrix und ein wenig Stonerrock gleichermaßen beeinflusste und dennoch eigenständige In the night time.

MOTHER TONGUE ist trotz unheimlichem Groove und großer Tanzbarkeit keine ausgesprochene Partyband - dazu sind sie zu dunkel und ernsthaft, dazu ist in der Vergangenheit auch zu viel geschehen. Aber diese Band lebt ihre Musik und die Musik selbst lebt ebenfalls.
Ein unvergleichliches Liverlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

Ralf Stierlen, 01.11.2003

 

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