Jethro Tull Stand Up - 2 CD & DVD Edition, Chrysalis Records, 2010 (1969) |
Ian Anderson | Flute, Acoustic Guitar, Hammond Orgen, Piano, Mandolin, Balalaika, Bouzouki, Mouth Organ, Vocals | |||
Martin Barre | Electric Guitar, Flute on Jeffrey Goes To Leicester Square | |||
Clive Bunker | Drums and Percussion | |||
Glenn Cornick | Bass | |||
David Palmer | String Arrangement and Conductor on Reasons For Waiting | |||
John Evan | Hammond Organ and Piano on "Live At Carnegie Hall 1970" | |||
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CD 1 - Original Album & Bonus Tracks: | ||||
01. A New Day Yesterday | 06. Nothing Is Easy | |||
02. Jeffrey Goes To Leicester Square | 07. Fat Man | |||
03. Bouree | 08. We Used To Know | |||
04. Back To The Family | 09. Reasons For Waiting | |||
05. Look Into The Sun | 10. For A Thousand Mothers | |||
Bonus Tracks: | ||||
11. Living In The Past | 14. 17 | |||
12. Driving Song | 15. Living In The Past (Original Mono Single Version) | |||
13. Sweet Dream | ||||
Top Gear BBC Radio Session: | ||||
16. Bouree | 18. Nothing Is Easy | |||
17. A New Day Yesterday | 19. Fat Man | |||
US Radio Spots: | ||||
20. Stand Up - Radio Spot #1 | 21 Stand Up - Radio Spot #2 | |||
CD 2 - Live At Carnegie Hall, 1970: | ||||
01. Nothing Is Easy | 06. Sossity, You're A Woman / Reasons for Waiting | |||
02. My God | 07. Dharma For One | |||
03. With You There To Help Me | 08. We Used To Know | |||
04. A Song For Jeffrey | 09. Guitar Solo | |||
05. To Cry You A Song | 10. For A Thousand Mothers | |||
DVD (Audio Only) | ||||
Identisch mit CD 2 | ||||
Bonus Feature: Interview with Ian Anderson, 2010 | ||||
Welches kranke Hirn denkt sich sowas aus? Nein, nein, die Rede ist hier nicht von dieser Wiederveröffentlichung! Die Rede ist von diesen Stickern, die seit einiger Zeit auf alles gepappt werden, wo die Buchstaben DVD in die Nähe kommen. Dazu noch möglichst nur schwer ablösbar und wenn man nicht behutsam vorgeht, dann zerfetzt man sich auch noch das Cover, was im Falle von einem so schönen Digi-Pack, wie bei dieser 3-Disc-Collection von "Stand Up" besonders ärgerlich wäre. Und - jetzt kommt's: Auf dieser DVD ist ja praktisch nur das, auch als CD beiliegende, "Carnegie Hall" Konzert als Audio-Spur! Lediglich das Interview mit Ian Anderson ist als "Film" enthalten. Den hat man, ob seiner Aufmachung, in den 70ern auch gern mal als "dirty Ol' Man" bezeichnet, aber dass hier irgendetwas Jugendgefährdendes enthalten sein könnte, glaubt doch wohl kein Mensch!
Da kann man ja gleich anfangen, vor jeder Fernsehsendung ein bildschirmfüllendes Emblem einzublenden.
So, der Ärger musste erst einmal heraus. Nun zu diesem Album. Für TULL-Freaks ist die "2001 Remaster"-Version, die hier wieder verwendet wurde, sicher nichts Neues, aber man hat diese Ausgabe ja ganz nett "aufgemotzt".
Nach dem Debütalbum war schnell klar geworden, dass Gitarrist Mick Abrahams für den Geschmack von Ian Anderson viel zu bluesig war und das Intermezzo mit Tony Iommi ist nur noch eine witzige Randnote im ROLLING STONES "Rock'n'Roll Circus". Nicht nur die Metaller haben im Nachhinein diesen Sinneswechsel gepriesen.
Mit Martin Barre war der kongeniale - weil aufgeschlossen und ebenso entwicklungsfähige wie -willige - Partner gefunden und mit "Stand Up" standen denn die "wahren JETHRO TULL" auch auf. Anschaulich hier auch in der Replik des Original-LP-Covers.
Ganz vom Blues lösen konnte sich die Band allerdings noch nicht, wie das führende Blues-Riff in A New Day Yesterday verdeutlicht und selbst ein Blues-Harp drängt sich noch hinzu. Hätte in ähnlicher Form damals auch von TEN YEARS AFTER kommen können. Ian Anderson nimmt aber Zügel und Flöte in die Hand und deutet schon die progressivere Richtung der Band an. Da schlägt sich in dem folkig-psychedelischen Jeffrey Goes To Leicester Square nieder und dann folgt schon die jahrelange "Erkennungsmelodie" Bouree. Konnte sich ja seinerzeit kaum einer vorstellen, was man aus einer klassischen Vorlage in der Rockmusik machen konnte. Bis dato war die Bach-Trompete in Penny Lane nahezu das höchste der Gefühle und lediglich Jon Lord hatte vielleicht noch so etwas wie eine Vision.
Auch heute noch macht es einfach Spaß diesem Instrumental zuzuhören, vor allem weil es Anderson verstand, seinen Jazz-Background - nicht unwesentlich durch einen gewissen Roland Kirk geprägt - erfrischend einfließen zu lassen.
Ganz entfernt, erinnert der Beginn von Back To The Family an AEROSMITH' Sweet Emotion, entwickelt auch sonst einen ähnlich unwiderstehlichen Groove, aber rückt auch die typischen dynamischen TULL-Qualitäten zum Vorschein. Für die damaligen Aufnahmetechniken sehr beachtlich.
Die akustische Seite der Band bedient Look Into The Sun. Es half sicherlich, dass mit Martin Barre ein Musiker zur Band gestoßen war, der eigentlich sogar Flöte als erstes Instrument gelernt hatte und es verstand, sich mit Anderson bestens zu ergänzen.
Die Stärke des Albums unterstreicht auch, dass sich etliche Songs davon bis heute im Live-Programm von JETHRO TULL finden. Zu den ganz starken Stücken zählt da eben Nothing Is Easy. Sehr ausgefuchst aufgebaut, jazzige Arrangements, effektive Breaks und tolle Soloparts. So richtig gemacht für eine ausgiebige Live-Performance.
Für Fat Man fügte man indisch-asiatische Elemente hinzu und passt die problemlos in den sich entwickelnden Stil der Gruppe ein. Naturgemäß verhält sich der Song sehr hypnotisch und wer versteht es schon, so wie Anderson da den "Rattenfänger" zu machen?
Auch We Used To Know hat diesen wundervoll langsamen, balladesken Anfang, um sich dann immer mehr zu steigern und vor allem Barres Können an der E-Gitarre Raum zu geben. Dieser bald typische Stil, der Wechsel zwischen folkigen Melodien und akustischen Instrumenten und (Hard-) rockigen E-Gitarrenparts, brach sich da schon Bahn.
Sicher nie der tollste Sänger, schafften es doch Wenige so wie Ian Anderson zu klingen und zu singen. Kann man sich einen anderen Sänger für Reasons For Waiting vorstellen? Das würde sogar ganz ohne Instrumente funktionieren. Das besondere an dem Mann ist aber für mich, diese Gradwandlung zwischen einer sehr kontrollierten Art und einer gewissen Überdrehtheit - wie man schön sagt: Genie und Wahnsinn. Ähnlich radikal trat das vielleicht nur bei Leuten wie Jimi Hendrix hervor.
Ähnlich deutlich in den Jazz eingetaucht sind auch nur wenige rockorientierte Bands. Nichtsdestotrotz erinnert mich For A Thousand Mothers ein bisschen an WISHBONE ASH auf "Pilgrimage". "Stand Up" ist zweifellos ein faszinierendes Album und seine Vielschichtigkeit trägt mit dazu bei, dass es auch heute kein bisschen "angestaubt" klingt.
Ian Anderson widmet im beiliegenden Booklet dieses Album dem Radio DJ John Peel, der viele Bands damals gefördert hat. Wenngleich dieser mehr den Anfangstagen mit Mick Abrahams zugetan war, bekräftigt Anderson die Wichtigkeit von dessen Unterstützung ohne die "Tull might never have made it to the next level".
Wie dieses nächste Level sich entwickelte, kann man hier schon bei Living In The Past hören, aufgenommen für eine Radiosendung eben jenes John Peel und erstmals gesendet am 22. Juni 1969. Dazu gehörten noch der Driving Song, wieder eine tolle Mischung aus Blues-Basics und Jazz-Einflüssen. Das wuchtige Sweet Dreams gehört schon in die Kategorie "Orchestral-Rock" und hätte gut als Filmmusik verwenden können. Kommt jedenfalls sehr dynamisch-theatralisch, wird dann leider ausgeblendet.
Etwas untypisch klingt 17, das mir etwas wie der Versuch vorkommt, einen Single-Pop-Hit zu erzielen. Ganz nettes Intermezzo.
Abschließend gibt’s noch die Single-Mono-Version von Living In The Past.
Auf der "Live-CD", mit dem Konzert aus der New Yorker Carnegie Hall, 1970, finden sich energetische Versionen von Nothing Is Easy und Dharma For One. Letzterer Song, genauso wie A Song For Jeffrey vom Debütalbum. Mit dem äußerst rasanten To Cry You A Song gibt’s einen weiteren Ausblick in die Zukunft der Band. Der Song findet sich, wie With You There To Help Me und Sossity, You're A Woman erst auf dem kommenden Album "Benefit" wieder.
Oft akustisch, arten fast alle Titel zu längeren "Jams" aus und, wie bereits erwähnt, oft ist das Genie nahe am Wahnsinn. Mitreißend allemal.
Noch zu erwähnen sei der inzwischen zur Band gehörende John Evan. Der klassisch geschulte Pianist macht unter anderem bei With You There To Help Me / By Kind Permission Of auf sich aufmerksam. Nicht nur für Ian Anderson eine Freude.
Die DVD bietet nochmals dieses Konzert als reine Audioversion, wobei man die Wahl zwischen 48/24 Stereo LPCM, DTS und 48/24 Dolby Digital hat. Whatever that means ...
Das Schöne an der DVD ist, auch für die nicht so technisch Hochgerüsteten, das ziemlich aktuelle Interview mit Ian Anderson. Hier erzählt der Frontmann, in gewohnt unterhaltsamer und - ebenso gewohnt - mit leichten Saitenhieben, über die Zeit um das Album herum. Manche Anekdote ist da selbstverständlich mit dabei.
Ob diese Ausgabe, wie damals, wieder auf Platz 1 landet, bleibt abzuwarten. Aber jedenfalls wird Ian Anderson davon nicht wieder von Joe Cocker beim Frühstück erfahren ...
Eine sehr schön gemachte kleine Box, die für ihr Geld wirklich was bietet.