Corvus Corax

"Wir sind ja gerne größenwahnsinnig"

( English translation by Google Translation by Google )

Interview

Reviewdatum: 14.06.2005

Links:

Corvus Corax Homepage

Corvus Corax @ facebook



Redakteur(e):

Ralf Stierlen


Corvus Corax
"Wir sind ja gerne gr??enwahnsinnig", Interview

Gro?e Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Daher hatte ich im Vorfeld der Ver?ffentlichung der Neuvertonung der "Carmina Burana" durch CORVUS CORAX und angesichts der n?her r?ckenden Termine der Liveumsetzung, Gelegenheit mit Norri aka Harmann der Drescher von CORVUS CORAX, in deren Tonstudio ein Interview zu f?hren.

Hooked on Music: Wie seid Ihr eigentlich auf die "Carmina Burana" gekommen? Wie hat sich die Idee zu diesem Projekt entwickelt?

Norri: Also gekommen sind wir auf die "Carmina Burana" irgendwie wahrscheinlich bald schon vor 20 Jahren. Wir machen ja als CORVUS CORAX schon seit 16 Jahren mittelalterliche Musik in der Tradition der mittelalterlichen fahrenden Spielleute. Das ist ein sehr gro?er Unterschied zu der ?blichen und bekannten Mittelaltermusik, die ja eigentlich immer irgendwie Minnegesang oder Kirchengesang wie gregorianische Chor?le oder so darstellt. Und damit wollten wir eigentlich nie etwas zu tun haben, weil wir sind eigentlich eher Fans von der Musik, die durch ganz Europa von den fahrenden Leuten zelebriert wurde, wo es eigentlich auch darum geht, Spa? zu verbreiten und die Leute zum Tanzen zu animieren et cetera.

HoM: Aus dem Volk f?r das Volk gewisserma?en...

Norri: Genau. Und halt auch einfach f?r junge Leute, die gerne Party machen. Man darf ja nicht vergessen, vielerorts wird der Anschein erweckt, dass in der mittelalterlichen Zeit zum einen die Leute strunzdumm waren und vor allem gar keinen Spa? hatten, oder das ist so eine akademische Variante, wo es dann mit Harfe und Minnegesang ja auch nicht gerade Partymusik ist und nat?rlich gab es zu allen Zeiten immer irgendwie junge Leute, die gerne feiern m?chten und diese Musik spielen wir im Endeffekt. Und weil wir auch schon immer versucht haben, tats?chlich dann auch Musik aus dem Mittelalter in die heutige Zeit zu transportieren, muss man nat?rlich recherchieren... wo findet man ?berhaupt Quellen. Und wenn man da irgendwie in Bibliotheken und Archiven sich durchw?hlt, kommt man an der "Carmina Burana" nicht vorbei, weil es einfach die gr??te Liedersammlung mit weltlicher Musik in ganz Europa ist. Es gibt keine gr??ere Sammlung, das sind ?ber 250 Lieder, die halt ?berwiegend nur als Text notiert sind, also Melodien gibt es fast keine dazu und wir haben als CORVUS CORAX schon immer damit gearbeitet. Es gibt auf fast jeder CD irgendeinen Titel, der im Endeffekt entweder einen Text aus der "Carmina Burana" enth?lt, oder sogar eine Melodie.

HoM: ... wie Totus Floreo...

Norri: ... zum Beispiel, oder In Taberna. Das sind halt Titel, die sowieso aus der "Carmina Burana" stammen und deswegen war das f?r uns mehr als naheliegend, uns dieser Sache anzunehmen.
Und wir wollten einfach auch zu unserem f?nfzehnj?hrigen Jubil?um, was wir ja nun letztes Jahr hatten, da wollten wir uns selber noch mal ein Geschenk machen. Wir hatten einfach die Idee, ok, jetzt machen wir schon so lange Mittelaltermusik, jetzt lass uns doch ein bisschen diese Pfade verlassen und was wirklich Gro?artiges mit unserem Material machen und haben gedacht, ok, machen wir einfach mal ein Orchesterwerk. Das haben wir noch nie gemacht, das ist gro?artig, vor allen Dingen ein Br?ckenschlag von den alten, akustischen Instrumenten zu den modernen Instrumenten, wie z.B. Violine oder Trompete. Das sind ja, wenn man jetzt akustische Instrumente in der kulturhistorischen Entwicklung sieht, tats?chlich die modernen Instrumente heutzutage. Und das zusammenzuf?hren war einfach so eine Idee, wo wir selbst davon so begeistert waren, dass wir gesagt haben, ok, das machen wir jetzt einfach.

HoM: Das war sicherlich auch regelrecht eine detektivische Arbeit, die ganzen Handschriften in Archiven aufzusp?ren und dann auch musikalisch umzusetzen?

Norri: Also in der Vergangenheit, was wir bis jetzt mit CORVUS CORAX gemacht haben, ist es wirklich Detektivarbeit, auf jeden Fall. Man darf sich das nicht so vorstellen, dass man in irgendeine B?cherei geht und da steht dann ein Buch herum, aus dem Mittelalter ?bersetzt, man hat Melodien und spielt das... Die mittelalterliche Musik, wenn ?berhaupt Melodien dargestellt wurden, dann sind das sogenannte Neumen, das ist ein Vorl?ufer von unserem heutigen Notensystem. Aber Melodien meistens, die sind prinzipiell ohne Rhythmus niedergeschrieben, das hei?t, was da f?r Beats dazu gespielt wurden, wei? schon mal ?berhaupt gar kein Mensch. Und die Melodien selber sind h?ufig einfach nur eine Angabe, ob ein Ton hoch geht oder runter geht, also nicht so in dem Sinne, das ist ein "a" und das ist ein "c", sondern man muss dann selber diese T?ne spielen, diesen Bogen, und versuchen herauszufinden, welcher Ton k?nnte es denn gewesen sein, damit diese ganze Melodie ?berhaupt einen sch?nen Fluss hat.
Das ist die eigentliche schwere Arbeit, das sozusagen wiederzubeleben, was man da findet. Bei der "Carmina Burana" haben wir es ja komplett anders gemacht. Da haben wir uns nur Texte ausgesucht und haben die Musik komplett neu komponiert. Also da haben wir jetzt nicht versucht, mittelalterliche Weisen zu nehmen, sondern die Musik ist tats?chlich komplett neu geschrieben.

HoM: Und wie kamt Ihr auf die ganzen ?brigen Mitwirkenden... ein geeignetes Orchester und einen Dirigenten f?r dieses Projekt zu gewinnen, war vielleicht auch nicht so ganz einfach?

Norri: Zuallererst ging es ja los, dass wir im Studio gearbeitet haben, also tats?chlich hier wo wir gerade sitzen ging der ganze Wahnsinn los. Und wir haben hier auch unsere ganzen CORVUS CORAX-Instrumente eingespielt, also Dudels?cke und vielerlei Perkussion, und die ganzen Ges?nge haben wir hier aufgenommen. Bei Thommy Hein im Studio, das ist hier in Berlin ein sehr gro?es, renommiertes Studio, haben wir dann die ganzen Orchesterinstrumente aufgenommen. Also wir wollten am Anfang auch mit zwei Orchestern arbeiten, aber haben dann gedacht, ok, am Anfang reicht erst einmal eins.
Wir hatten auch erst ?berlegt, ein komplettes Orchester heranzuholen, das das am St?ck einspielt, da sind wir aber lieber wieder davon abgekommen, weil erstens, wenn sich jemand verspielt, kriegt man es nicht wieder raus, dann muss alles noch mal gespielt werden und wir waren auch noch im Endeffekt auch noch in so einem Entwicklungsprozess. Es konnte immer wieder sein, dass dann der Moment auftaucht, wo wir sagen, diese Oboenstimme, die lassen wir mal lieber doch weg und nehmen daf?r lieber was anderes und deswegen haben wir das nacheinander im sogenannten Overdub-Verfahren aufgenommen.
Also, wir haben uns ein Streicherquintett an Land gezogen und die mussten die ganze Partitur, die wir denen hingelegt haben, alle Stimmen nacheinander durchspielen. Dazu ein paar Blasinstrumentalisten. Als wir dann alles fertig hatten, haben wir ?berhaupt erst daran gedacht, das auf die B?hne zu bringen. Am Anfang ging es wirklich nur darum, dieses Studiowerk erst einmal fertig zu kriegen.
Ja, und dann dachten wir uns, ok, jetzt m?ssen wir uns erst einmal einen vern?nftigen Dirigenten suchen, ehe wir uns ein Orchester suchen. Weil das ist der wichtigste Mensch bei der ganzen Variante, wenn man das auf die B?hne bringt, weil er muss das Ganze im Griff haben. Und da haben wir zum Gl?ck relativ schnell einen Herrn getroffen, er nennt sich J?rg Iwer, das ist nun auch ein Dirigent, der schon immer Interesse daran hatte, nicht immer nur auf dieser herk?mmlichen Klassik herumzureiten, das langweilte ihn ein bisschen. Er hat immer nach etwas Neuem gesucht und hat sogar selber schon einmal Texte aus der "Carmina Burana" vertont gehabt, da hatten wir auch gleich einen Verbindungspunkt. Er ist auch viel im Ausland unterwegs, spielt viel in Asien als Dirigent, hat nat?rlich auch schon die "Carmina Burana" von Carl Orff dirigiert und ist verr?ckt, so wie wir verr?ckt sind, im positiven Sinne. Also er passt sehr gut zu uns.
Der J?rg Iwer hat in Zusammenarbeit mit uns auch noch einmal die ganze Partitur ?berarbeitet. Denn er arbeitet tagein, tagaus mit einem Orchester und konnte auch gleich sagen: "Ok Leute, das ist alles total gro?artig, aber im Livebetrieb funktioniert das hier mit den Celli nicht. Die Stimme ist sehr sch?n, die nehmen wir doch lieber und lassen das von den Blechbl?sern spielen, weil da setzt sich diese Stimme auch durch, und dann lassen wir den Cellisten lieber ein anderes Thema spielen." Da hat er uns noch mal sehr geholfen, dass das f?r ein Orchester, wie es insgesamt klingt, einfach auch noch einmal richtig feinjustiert wird, sozusagen.
Der J?rg Iwer hat uns dann im Endeffekt auch den Kontakt zu dem Cottbuser Staatstheater verschafft. Er hatte dort selber auch schon mit dem Orchester gearbeitet, also er kannte die Leute schon. Wir haben uns da ein bisschen umgeh?rt, und das Cottbuser Staatstheaterorchester hat wirklich deutschlandweit einen sehr guten Ruf, weil sie auch, mit ihren eigenen Worten, gerne "Crossover-Geschichten" machen. Die haben auch einen sehr offenen Intendanten, der Herr Sch?ler, der sagt, 'ich m?chte dass unser Haus, das Staatstheater, sich ?ffnet f?r modernere Musikstr?mungen'. Er m?chte auch nicht, dass jeden Tag Beethoven, Mozart und Vivaldi gespielt wird, er will einfach, dass die moderne Klassik Einzug h?lt in das Haus und da hatten wir vollste Unterst?tzung, da wurde nicht gegen uns gearbeitet, es gab auch keine Animosit?ten, sondern das Orchester war total begeistert, weil wir haben auch ein St?ck geschrieben, wo das Orchester integraler Bestandteil ist.
Viele Bands kommen ja an und haben ihre fertigen Songs im Gep?ck, lassen dann irgendeinen Arrangeur irgendwie so ein bisschen Orchester dazuschreiben - das ist dann aber immer nur so Schmuckwerk. Dann haben nat?rlich die Orchestermusiker irgendwie... also Spa? macht das denen dann auch nicht, weil die merken nat?rlich, sie k?nnten auch einfach weggelassen werden, es funktioniert trotzdem und sie sind kein wichtiger Punkt. Und wir haben, als wir angefangen haben, gleich gesagt, ok, das ist ein Werk f?r mittelalterliches Ensemble, gro?en Chor und Sinfonieorchester und das soll eine Symbiose darstellen.

HoM: Das ist auch der gro?e Unterschied zu diesem ganzen "Klassik-Rock-Ged?ns", was es da gibt. Dass bei Euch jedes Mitglied seine Berechtigung hat und alle Mosaiksteinchen sich dann am Ende zusammensetzen.

Norri: Wir werden auch h?ufig gefragt, ob wir irgendwie dann in Zukunft die Titel unserer "Carmina Burana" auch pur als CORVUS CORAX spielen wollen. Das wird nicht passieren. Weil es gibt jetzt diese drei S?ulen f?r dieses Werk und so ist es konzipiert. Wenn wir eine S?ule wegnehmen, zum Beispiel lass den Chor weg und es funktioniert nicht, weil alles miteinander arbeitet und die einen Stimmen bauen auf den anderen auf und da st?tzen sie sich gegenseitig. Das macht auch Riesenspa?, also die Auff?hrung in Cottbus, die ersten Proben und dann die Auff?hrung, da waren wir 170 Musiker, die, das muss man sich noch mal vor Augen f?hren, alle akustische Instrumente spielen. Also Gesang z?hle ich jetzt auch als akustisches Instrument. Da entsteht ein unglaubliches Klanggebilde. Schwer im Zaum zu halten, aber wenn es l?uft, ist es echt gro?artig.

HoM: In Cottbus war ja eine sinfonische Auff?hrung. Wie wird denn die optische Umsetzung bei den gro?en Open Airs, es gibt ja Wacken, Museumsinsel, Schwerin und Goslar...

Norri: Goslar hat nun leider nicht funktioniert, der Veranstalter hat leider keine finanzielle Unterst?tzung bekommen und preiswert ist die ganze Sache nat?rlich nicht, weil 160 Leute m?ssen irgendwo untergebracht werden, m?ssen bezahlt werden, Hunger haben sie auch alle, Durst erst recht, weil da sind die klassischen Musiker nicht anders als wir (lacht). Da wird auch nach dem Konzert das Bierchen getrunken oder eine Flasche Wein.
Also dieses Jahr ist das erste Wacken, was ja eigentlich total verr?ckt ist. Wir spielen auf dem gr??ten Metal-Festival ohne Gitarre, die Leute k?nnen unsere Songs noch gar nicht kennen, weil die sind noch gar nicht ver?ffentlicht... aber trotzdem grandios, bin ich mir sicher. Weil, laut sind wir allemal und Druck hat das auch. Es ist halt sehr bombastisch und ich denke daher, dass auch die Heavy-Metal-Fans leicht Zugang dazu finden.
Genau, die Inszenierung. Cottbus war ja nun eine rein musikalische Generalprobe, wir wollten erst einmal sehen, wie funktioniert das alles zusammen. Das einzige, was wir da schon gemacht hatten, war die Kost?mierung, die wir uns so vorstellen. Also der Chor war schon eingekleidet, wir von CORVUS CORAX hatten uns auch schon Kost?me geschneidert, bzw. halt eine Freundin von uns hat nach unseren Vorstellungen die Kost?me gen?ht. Das soll auf jeden Fall in Berlin, wo wir wirklich alles so machen k?nnen wie wir wollen, Wacken m?ssen wir leider ein bisschen abspecken, auch aus statischen Gr?nden, wir d?rfen gar nicht mehr als 80 Leute auf der B?hne haben, in Berlin sind wir selber Veranstalter, ein Riesenvorteil, weil keiner kann sagen: "Das geht nicht, zu teuer oder so", da wird alles aufgebaut so wie wir es wollen und wir wollen schon, im Fachgebrauch nennt sich das "semiszenisch", was wir da vorhaben. Also wir machen keine Oper mit einer Handlung, wir machen auch kein Theater oder Ballett, aber wir wollen, dass die Zuschauer nicht einfach nur akustisch was geboten bekommen, sondern es soll nat?rlich optisch, so wie CORVUS CORAX auch sind, auch eine Menge erlebt werden.
Wir werden gucken, dass viel Bewegung auf der B?hne ist, dass der Chor sich zum Beispiel auch einmal ?ber die Podeste bewegt, also der soll nicht statisch irgendwo rumh?ngen, sondern er soll auch Bewegung haben, dass die Leute sehen, da passiert auch etwas.
Wir werden nat?rlich auch so viel wie m?glich Energie in die Show setzen und wollen auch das eine oder andere Schmankerl mit anbieten. Da wird sicherlich auch einmal ein T?nzer mit auf der B?hne auftauchen, vielleicht machen wir auch ein bisschen was mit Feuer, da sind wir gerade noch dabei, sozusagen das Drehbuch f?r die ganze Veranstaltung zu schreiben. Aber es soll auf jeden Fall auch optisch ein gro?artiges Erlebnis werden.

HoM: Die Zusammenarbeit mit dem Orchester war f?r Euch auch etwas Neues... Ihr als CORVUS CORAX, sch?tz ich, arbeitet sicherlich etwas spontaner und flexibler als so ein gro?er Klangk?rper. Hat sich f?r die Zukunft etwas f?r Euch ver?ndert, also nehmt Ihr davon etwas mit oder habt Ihr andererseits das Gef?hl, dass die Orchesterleute vielleicht sogar etwas von Euch mitnehmen?

Norri: F?r uns selber nehmen wir die Erfahrung mit, dass es total viel Spa? macht und wir werden auf jeden Fall in der Zukunft jetzt ?fter auch Orchesterwerke schreiben. Also es ist sozusagen unser drittes gro?es Projekt, wir haben CORVUS CORAX, wir haben TANZWUT und jetzt gibt es halt das dritte Standbein (???, Anm. d. Red.): Orchesterwerke von CORVUS CORAX komponiert.
Da wollen wir auf jeden Fall noch ein paar Sachen nachlegen. Das ist das, was wir dabei herausgezogen haben, dass wir einfach eine neue M?glichkeit gefunden haben, Musik zu schreiben. Die Orchestermusiker haben sicherlich auch eine Menge dabei gelernt. Dabei geht es aber weniger um Spontaneit?t...
Also bei dem Trommelsolo im Curritur (Curritur ad vocem, Anm. d. Red.) ist es nat?rlich live so, dass ich als der Verantwortliche f?r die ganze Trommelei vorgesehen habe, dass auch die Orchestertrommler mitmachen. Die waren am Anfang echt baff, denn sie hatten ja keine Noten. Und das geht eigentlich nicht. Ein Orchestermusiker ohne Noten ist komplett hilflos. Da hie? es am Anfang "Ja, was soll ich jetzt da machen?" Da sagte ich "Hey, lasst Euch doch einfach mal gehen." Das hatte dann zur Folge, dass bei der zweiten Probe das ganze Trommelsolo komplett aus dem Ruder gelaufen ist, weil es war dann nicht mehr der Dirigent da, die haben einfach losgelegt. Die kennen das einfach nicht, frei zu spielen, und dann lief das Timing pl?tzlich komplett auseinander, die haben sich dann selber erschrocken. Das war dann auch wieder eine Erfahrung: Hoppla, jetzt habe ich mich selber dabei erwischt, wie ich total durchdrehe und komplett die Kontrolle ?ber mich verliere.
Bei der n?chsten Probe war das dann schon ok. Da hatten sie dann schon gelernt, ok, ich kann ja frei spielen, aber ich muss gucken, was die CORVUS CORAX Trommler da machen. Wenn ich spiele, ist das im Endeffekt ja auch wie ein Dirigent. Also das hab ich mir auch bei CORVUS CORAX angew?hnt, ich bin das Metrum, alle anderen richten sich danach. Ich bin sozusagen der zweite Dirigent auf dieser ganzen "Carmina Burana"-Variante, also dass sich die Leute nach mir richten. Und das hat dann auch funktioniert und es ist tats?chlich auch freies Spielen dann, das geht. Da haben die Orchestermusiker auch wieder etwas von uns gelernt.

HoM: Die "Carmina Burana" wird ja auch weiterhin nebenher laufen, ?ber das Jahr hinaus, wenn man schon solch einen Aufwand betreibt. Was habt Ihr vor, da noch zu ver?ffentlichen? Die CD kommt als erstes?

Norri: Erst einmal gibt es am 8. August die ganz normale Studio-CD als Ver?ffentlichung. Was ganz wichtig ist, wir bringen eine Limited Edition dazu raus, auch am 8. August, und da wird zu der CD noch eine DVD mit beigelegt. Da gibt es einen Livetitel von Cottbus, eine mitgeschnittene Videoaufnahme, ein bisschen Interview- und Hintergrundmaterial ?ber uns und ein paar Sequenzen halt mit dem Dirigenten, dem ersten Geiger und dem Intendanten.
Und als klitzekleines Schmankerl gibt es komplett alle zw?lf Titel im 5.1 Dolby Surround auch noch mit drauf. Das ist f?r uns auch wirklich wichtig. Wir wissen, dass sich diese Surround-Variante noch nicht so extrem etabliert hat, aber f?r die Leute die eine Anlage haben wird das wirklich ein Highlight sein. Ich habe jetzt selber schon viel danach gesucht, nach Referenzen. Es gibt halt ?berwiegend Filmmusik, es gibt inzwischen etliche Live-DVDs wo auch mit Surround gearbeitet wird, blo? da ist es halt so, du hast die Band vor dir und du bist im Publikum. Ist auch nicht so spannend und es gibt bis jetzt noch nicht allzu viele Ver?ffentlichungen, wo wirklich von vorneherein die Musik in Dolby-Surround echt gemischt wird, dass man halt in der Musik drin steht.
Ich habe auch schon Leute erlebt, denen ich das vorgespielt habe, die das als Grund genommen haben sich eine Surround-Anlage zu kaufen. Eigentlich sollten wir einen Endorsement-Deal mit irgend so einer Firma machen, die so etwas herstellt (lacht).
Ansonsten werden wir die beiden Konzerte in Berlin am 19. und 20. August auf der Museumsinsel komplett mitschneiden, mit sehr vielen Kameras und hohem technischen Aufwand f?r das Audiorecording und wir werden davon eine Live-DVD produzieren, die dann Anfang n?chsten Jahres rauskommt. Da m?gen vielleicht Leute denken "was soll das denn, jetzt gerade erste ver?ffentlicht und dann schon eine Live-DVD", aber es ist schon ein riesengro?er Unterschied, wenn man die Studiosachen anh?rt und das was live passiert. Du hast es in Cottbus gesehen, man kann es auch nicht miteinander vergleichen, weil da entsteht eine ganz andere Dynamik, das ist echt etwas anderes, deshalb haben wir gedacht, ok, das wird auch gleich festgehalten.
Ja, es sind noch zwei Konzerte geplant, Anfang November, das ist aber leider noch nicht spruchreif. Das wird, wenn es klappt, wahrscheinlich M?nchen und D?sseldorf sein. Aber das kann man halt tats?chlich noch nicht publik machen, da m?ssen erstmal noch Sachen festgezurrt werden. Richtig losgehen wird es mit der ganzen Livegeschichte mit der "Carmina Burana" n?chstes und ?bern?chstes Jahr. Man braucht sehr viel Vorbereitungszeit, das Orchester kann man auch nicht einen Monat vorher anrufen, weil die meisten Orchester sind locker anderthalb Jahre im Voraus verplant und da m?ssen wir halt schauen, das ist eine sehr langfristige Sache.
Und wir wollen unbedingt ins Ausland. Wir sind durch die Kontakte von J?rg Iwer, der halt auch sehr viel im Ausland agiert, im Gespr?ch mit China. Wobei China nat?rlich auch noch einmal, wenn das klappen sollte, ein richtiger Kn?ller wird, weil da gibt es dann schon die M?glichkeit die "Carmina Burana" mit einem traditionellen chinesischen Orchester aufzuf?hren. Das hei?t, ein chinesisches Orchester, bei dem die Musiker traditionelle chinesische Instrumente spielen. Das mit CORVUS CORAX und einem Chor aus China, der lateinische Texte singt, das muss ein Oberkn?ller sein. Wenn das klappt, leg' ich ein Ei (lacht).
Das gute mit dem Ausland ist ja auch, da haben wir wieder den Vorteil mit der Arbeitsweise, mit dem Orchester. Die sind gewohnt, dass sie eine Partitur vorgelegt bekommen, proben das und fertig. Wir brauchen da gar nicht mit dem ganzen Apparat loszufahren. Wir fahren als CORVUS CORAX da hin, k?nnen irgendwo spielen, die kriegen einen Monat vorher die Partitur r?bergeschickt, kann man heutzutage sogar per E-Mail schon machen, also sehr kurzer Weg. Dann k?nnen die das dort proben, wir fahren, dann wird noch zwei, drei Tage zusammen das Ganze geprobt und fertig ist. Das ist das Gute an Orchestermusikern, die spielen einfach das, was auf dem Blatt steht. Man braucht nicht ewig zu ?ben.

HoM: ...da gibt es im Ausland nat?rlich tolle Locations, wo man sich das vorstellen k?nnte. Italien, in irgendeinem Amphitheater...

Norri: Ja, ins Kolosseum (lacht).

HoM: Ich denke, im Ausland ist auch die Herangehensweise an klassische Musik ein bisschen anders als in Deutschland. In Deutschland gibt es doch noch so das traditionelle Klassikpublikum, das etwas abgehobener ist...

Norri: Es gibt in Deutschland irgendwie..., das wurmt uns nat?rlich alle, das hat mich in meiner Kindheit schon total ge?rgert, dass es die totale Abgrenzung zwischen "ernster" und "Unterhaltungs"-Musik gibt. Diese Unterscheidung ist eine totale Frechheit und eine Beleidigung f?r jeden Musiker, muss ich ehrlich mal sagen. Weil: So geht es ja nun nicht, man kann ja nicht sagen, nur weil man ein bestimmtes Instrumentarium benutzt, dass das dann gute Musik ist und wenn man ein anderes Instrumentarium benutzt ist das eigentlich so die "B-Variante". Das ist nat?rlich kompletter Irrsinn.
Warum das in Deutschland so ist... will ich mich jetzt gar nicht dar?ber auslassen. Ich wei? aber, dass es im Ausland ganz anders gehandhabt wird. Ein Amerikaner guckt uns einfach nur komisch an, wenn man ihm erz?hlt, dass es hier so was wie "ernste" und "Unterhaltungs"-Musik gibt. Da ist es auch so, dass viele klassischen Musiker zum Beispiel nebenher Jazz machen und so, die haben tats?chlich alle auch einen Draht zu moderner Musik und mit denen kann man dann nat?rlich auch noch viel einfacher arbeiten. Klassikmusiker, die tats?chlich nur Klassik machen, die wirklich nur in dieser Schule sind und vom Blatt abspielen, die sind nat?rlich erstens nicht kreativ und zweitens k?nnen sie nicht frei spielen. Das ist nat?rlich total schade, weil das sind Musiker, die ?ber lange Jahre eine Ausbildung erhalten haben und die einfach sagenhafte Virtuosen an ihrem Instrument sind und die lernen nicht, frei zu spielen.
Jammerschade, muss ich echt sagen, weil da sehr viel Potential vergeudet wird. Auch gerade irgendwie bei den klassischen Musikern, die werden im Endeffekt durch die Schule, durch die sie da gehen m?ssen, eigentlich kurz gehalten. Das ist so, als ob die das nicht k?nnen sollen. Damit halt lieber Komponisten da sind, die immer sch?n einen auf dicke Tasche machen und sagen "Ich bin der Gro?artige und ihr seid die ausf?hrenden Instrumentalisten." Als Klassikmusiker w?rde ich mich da m?chtig dr?ber ?rgern und w?rde sagen "Moment mal. Revolution. Gleichberechtigung."
Aber ich denke mal, vielleicht sorgen wir mit CORVUS CORAX einfach daf?r, dass auch im Klassikgewerbe ein bisschen die Strukturen durcheinandergebracht werden. Da h?tten wir schon wieder etwas erreicht.

HoM: Auch wenn das jetzt ein bisschen bl?d ist, nachdem die "Carmina Burana" gerade voll am Laufen ist, aber gibt es schon Hirngespinste zwecks Folgeprojekte?

Norri: Also wahrscheinlich... die "Carmina Burana" hat ?ber 250 verschiedene Texte. Wir haben mit CORVUS CORAX locker ein Dutzend genutzt, wir haben uns f?r die "Carmina Burana" noch mal zw?lfe rausgesucht. Wenn man jetzt die, ich glaube 23 eher christlichen Texte rausnimmt die uns gar nicht interessieren, hat man irgendwie immer noch 200 Texte, die da liegen und warten. Also vermute ich mal, wir werden einfach eine "Carmina Burana" 2 und 3 machen.

HoM: Die "Carmina" wird sich weiterentwickeln?

Norri: Sie wird sich weiterentwickeln, genau.
Ansonsten k?nnen wir uns aber auch sehr gut vorstellen, es gibt ja nicht nur die "Carmina Burana", es gibt ja auch schon noch etliche andere Handschriften.
Sehr interessant ist auch der Balkan, wo wir auch ein sehr gro?es Faible f?r haben, weil da irgendwie die mittelalterliche Musik im Endeffekt tats?chlich immer noch ohne Unterbrechung traditionell ?berliefert ist. Also so Musik wie in Bulgarien zum Beispiel, wir haben uns vorher gerade noch mit einem Kollegen unterhalten, der kommt eigentlich aus Bulgarien, der meinte, er hat das einmal zur?ckverfolgt, die ganzen traditionellen Sachen, die da gespielt werden, die kann man teilweise bis ins 9. Jahrhundert zur?ckverfolgen. Da ist Mittelalter lebendig. Da haben wir uns ja auch viel herausgeholt, um herauszufinden, wie k?nnte die Musik in Deutschland fr?her zu der Zeit gewesen sein. Dabei nat?rlich verglichen, was in den Nachbarl?ndern noch gespielt wird. Da vielleicht mal eine Liedersammlung zu nehmen, ist auch eine M?glichkeit.
Also, wir werden sehen. Und vielleicht doch in Zukunft dann doch mit zwei sinfonischen Orchestern. Weil, wir sind ja gerne gr??enwahnsinnig (lacht).

HoM: CORVUS CORAX pur l?uft auch weiterhin. Und TANZWUT?

Norri: Unbedingt, auf jeden Fall. Das ist auch f?r uns so eine Art Eigenbluttherapie. Wir machen das eine Projekt eine Weile und wenn wir dann so leichte Erm?dungserscheinungen haben - zack, ist schon wieder das n?chste Projekt am Start und so halten wir uns die ganze Zeit jung, eigentlich. Weil, es ist nie so, dass es irgendwann so ist, dass wir denken, jetzt m?ssen wir unbedingt was Neues machen, und dann verkrampft man so, es l?uft und l?uft bei uns und wir haben jetzt diese Orchestervariante als neues Kind dazugefunden. Es kann auch sein, dass sich das noch weiter ausbreitet, wir haben so viele Ideen, so alt werden wir sowieso nicht, dass wir die alle verwirklichen k?nnen.

HoM: Vielen Dank f?r das Gespr?ch und viel Erfolg bei den Konzerten, das wird sicher eine gro?artige Sache.

Vielen Dank an dieser Stelle auch an Stephanie von Pica Music, die das Interview erm?glicht hat.

Ralf Stierlen, 14.06.2005

 

© 2008 - 2024 by Hooked on Music