Corvus Corax

Berlin, Passionskirche, 22.12.2004

( English translation by Google Translation by Google )

Konzertbericht

Reviewdatum: 22.12.2004

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Redakteur(e):

Ralf Stierlen

Peter Tenzler


Berlin, Passionskirche, 22.12.2004

Corvus Corax Was fasziniert viele Menschen eigentlich so sehr am Mittelalter? In der Literatur häufen sich seit Umberto Ecos "Der Name der Rose" und Noah Gordons "Der Medicus" historische Romane und Abhandlungen über die Zeit zwischen 500 und 1500 n. Chr., überall in der Republik, bevorzugt auf Burgfesten oder ähnlichen Anlagen, finden Mittelaltermärkte oder -feste statt und im musikalischen Bereich geben sich Bands wie SCHANDMAUL oder FAUN im traditionelleren Rahmen oder metallische Ableger wie IN EXTREMO, HAGGARD oder SALTATIO MORTIS die Drehleier in die Hand. Und dabei allesamt mit recht beachtlichem Erfolg.
Sicherlich spielt eine romantisch verklärte Vorliebe für (im Mittelalter anzusiedelnde) Märchen, Mythen und Sagen eine Rolle, die bei fast jedem schon im Kindesalter geweckt und oftmals konserviert wird. Weiterhin gibt es ein vielfach verbreitetes Interesse an den eigenen kulturellen Wurzeln. Ich denke jedoch, dass die meisten hauptsächlich einer komplexen, technisierten Gegenwart entfliehen wollen und sich nach einer einfachen, ein Stück weit archaischen Welt sehnen, die den Menschen auf seine Grundwerte zurückbringt, gleichzeitig aber auf Grund größerer Bedeutung von Mystik und mündlicher Überlieferung (die Druckkunst sollte ja erst Ende des 15. Jahrhunderts erfunden werden) der Fantasie erheblichen Raum zur Entfaltung ließ. Dies mag für viele faszinierend wirken, auch und gerade weil vieles im Nebel der Vergangenheit verbleibt (man spricht ja vor allem deshalb vom "dunklen Mittelalter", da es über große Zeiträume nur wenige verläßliche Quellen gibt), so dass jeder auch selbst seine Sehnsüchte hineinprojezieren kann.

Corvus Corax Aber um allmählich in medias res zu kommen: Kurz vor Weihnachten gaben sich CORVUS CORAX, die sich selbst als "die Könige der Spielleute" bezeichnen, mal wieder in ihrer Heimat Berlin die Ehre, wobei die Passionskirche einen angemessen festlichen Rahmen für zwei Konzerte, am 22. und 23. Dezember, gab.
Die Kolkraben (was CORVUS CORAX ja bedeutet) um Meister Selbfried, Teufel und Castus Rabensong, die ja nicht nur mittelalterliche Instrumente benutzen sondern diese auch selbst bauen, haben sich ja in erster Linie auch damit verdient gemacht, mitteltalterliches Liedgut aufzustöbern und zu bewahren, wobei man sich dabei mittlerweile nicht mehr nur auf den europäischen Raum beschränkt, wie zum Beispiel Chou Chou Seng beweist.

Corvus Corax Die Musik von CORVUS CORAX ist, wenn nicht im Originalzustand belassen (das kann ich leider schlecht nachprüfen, entgegen anderslautender Gerüchte bin ich doch noch nicht sooo alt), so doch authentisch wirkende Volksmusik, was heißt Musik aus dem Volk für das Volk. Solche Musik ist in erster Linie zum Tanzen da, weniger zum Analysieren, Sezieren und zur musikalischen Nabelschau. Nein, hier geht es einfach, direkt und ohne Umschweife zur Sache und in die Tanzbeine, und die zahlreichen Menschen in der gut gefüllten Passionskirche gehen begeistert mit und lassen sich fortreißen und treiben in die Welt der Gaukler, Spielmänner und fahrenden Vagabunden.

Corvus Corax Trotz mitunter einer fünfköpfigen Mauer von Drehleier- und Schalmeien-Spielern mit Meister Selbfried, Wim, Teufel, Castus Rabensang und Ardor vom Vernusberg, spielen doch auch die Schlagwerkzeuge eine sehr gewichtige Rolle. Dabei geben Hatz, Der Kalauer und der trotz erlittenen Bänderrisses mächtig Dampf machende Harmann eine mittelalterliche Rhythmussektion ab, die gelegentlich Assoziationen zu den vielköpfigen Sambaschulen im Karneval von Rio aufwirft. Das ganze ist mitunter eine Art Mittelaltertechno (auch wenn akustischer Techno widersinnig klingt), was nicht nur an der zweiten Identität der Bandmitglieder bei TANZWUT, sondern an dem stark perkussiv angelegten, auf ständig wiederkehrenden Elementen die Tanzbarkeit und Eindringlichkeit verstärkendem Liedgut liegt.

Corvus Corax Natürlich sind CORVUS CORAX auch von erheblichem Schauwert, in ihren mitunter reichlich knappen mittelalterlichen Gewändern und mit einer Bühnenperformance, die durchaus auch auf rockmusikalischen Erfahrungen beruht, sofern man sich sehr effektvoll in Pose zu setzen weiß. Dazu die ganzen Schalmeien, Trummscheite, Dudelsäcke und die ständige Kommunikation mit dem Publikum, insbesondere durch Teufel und Castus Rabensang.
Nach einem kurzen ersten Set zum Warmwerden gibt es eine Erfrischungspause, bevor dann etwas mehr als eine Stunde die Höhepunkte Suam elle ire, Mille anni passi sunt, Balade de mercy, Albanischer Tanz oder Titenka abgefeiert werden. Regelrechtes Kernstück, da ja auch irgendwo Motto für die hedonistische Musikauffassung, ist In taberna, das jedem Suchtbeauftragten einige Sorgenfalten bereiten dürfte.

Corvus Corax Und natürlich fordert das Volk nach den letzten Tönen des regulären Sets nach mehr, so dass CORVUS CORAX noch zwei Mal die Bühne entern, bevor man in die kalte Nacht entlassen wird. Diese Musik, zumindest in der gnadenlosen Liveversion, taugt sicherlich nichts für den Kopfhörer oder eine beschauliche Stunde am Kamin. Man muss bereit sein, sich fallen zu lassen, sich an der Einfachheit und Direktheit erfreuen und sich treiben lassen, um sich zurückzuversetzen in eine Welt, als die Musik ausschließlich dazu diente, den Menschen ein wenig Zerstreuung im harten Alltag zu geben und ihm tanzend für kurze Zeit seine Sorgen vergessen zu machen.

Ralf Stierlen, 22.12.2004

Bilder: Peter Tenzler, 22.12.2004

 

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