Bonn, Harmonie, 12.09.2003 | |
Mein Bedarf an schlechten Nachrichten war für die laufende Woche eigentlich schon gedeckt ... erst stirbt am Dienstag der leider oftmals vom Publikum kaum wahrgenommene Warren Zevon, dann folgt am Freitag der Tod des großen, alten Johnny Cash.
Fassungslose Gesichter und helle Aufregung stellten sich dann gestern bei der WDR Rockpalast-Aufzeichnung des Carl Carlton-Gigs in der Bonner "Harmonie" ein, als nach knapp zwanzig Minuten ein scheinbar bestens aufgelegter Carlton unvermittelt auf der Bühne zusammenbricht und von eilends herbeigerannten Helfern von der Bühne getragen wird.
Ich muss gestehen, dass ich so etwas in meiner doch recht langen Konzert-Historie noch nicht erlebt habe. Als Carl sich nach dem dritten Song schon mal eine kurze Auszeit nahm, ahnte vom schwitzenden Publikum natürlich noch niemand etwas Böses. Ganz der Profi, behauptete er nach seinem kurzen Verschwinden: "I'm fine, don't worry" (ja, ja, er redete tatsächlich Englisch) und legte offenkundig unbeeindruckt mit einem herrlichen Gitarrenbrett den nächsten Gang ein. Doch das dicke Ende kam kurze Zeit später.
Es herrschte aber auch eine fast unerträgliche Hitze in der "Harmonie". Die weit über vierhundert Zuschauer und die für die Fernsehaufzeichnung zusätzlich aufgestellten Scheinwerfer sorgten für echte Treibhausatmosphäre im Saal und insbesondere wohl auf der Bühne, denn die bemitleidenswerten Musiker schwitzten tatsächlich wie die Schweine. Wirklich sonderbar, dass die Verantwortlichen die so zahlreich an der Saaldecke installierten großen Ventilatoren nicht nonstop durchsurren ließen, zumal diese ja in der Gig-Pause zuvor für eine erträglichere Luft gesorgt hatten.
Sei's drum, Herr Carlton wurde in der Folgezeit mit Blaulicht in ein Bonner Krankenhaus verlegt und die Rockpalast-Macher verlautbarten, sichtlich irritiert, der Gig werde irgendwann nachgeholt und dem langen Carl gehe es wohl nach diesem Kreislaufkollaps den Umständen entsprechend gut. Wünschen wir ihm das Beste.
Und was haben die Burschen gerockt. Wirklich mitreißend präsentierte sich die komplette Band, in der ich den alten Weggefährten Carls, Bertram Engel, anfänglich noch vermisst habe. Aber, ehrlich gesagt, der neue Drummer bearbeitete sein Set mit derartiger Vehemenz und Spielfreude, dass Bertram Engels Abwesenheit eigentlich doch nicht ins Gewicht fiel.
Kurzum, die wenigen Songs die die SONGDOGS präsentieren durften, veranlassten das Publikum schon frühzeitig zu Begeisterungstürmen und verdeutlichten noch einmal die absolut internationale Klasse der kompletten Combo. Herrlich anzusehen, wie die alten MOTHER'S FINEST-Recken Moses Mo und Wyzard mit grienenden Gesichtern ihre Souveränität in den Dienst der Sache stellten: Songdienliche Fingerfertigkeit gepaart mit spritzigem Einfühlungsvermögen. Doch dann kam alles anders...
Dabei hatte der Abend so entspannt begonnen. Die amerikanische Combo THE THORNS sorgte mit ihrem bestechenden Satzgesang für wohlige Schauer auf Hunderten von Rücken. Die vagen Zweifel, ob sie denn wohl die umwerfenden Harmony-Vocals ihres im Sommer erschienenen Debut-Albums (siehe HoM-Review) auch live umsetzen könnten, wurden schon beim ersten Song mit Bravour beiseite gewischt. Auf den Punkt und ohne jegliche Schwäche zeigten sich die drei Vocal-Artisten von ihrer besten Seite. Die anfänglich deutlich spürbare Nervosität der Herren verflog in der Folgezeit wie von selbst.
THE THORNS präsentierten zwar ihr komplettes Album-Repertoire, ließen allerdings so gut wie keinen Raum für überraschende Arrangementveränderungen, im Sinne eines etwas spannungsgeladeneren Gesamteindrucks. Somit verzückten sie die Zuhörer zwar mit ihren zauberhaften Gesängen, die mitgebrachte Rhythm-Section aus Drums, Bass und Keyboards (mir gänzlich unbekannte Musiker) konnte sich über den Status einer soliden Begleitcombo allerdings nicht hinwegsetzen. Irgendwie gut, aber nicht umwerfend.
Der Hammer und somit die Überraschung des Abends gelang nach endlos scheinender Umbaupause den Herrschaften der Rick Vito Band.
Der altbewährte Live- und Studio-Gitarrist für so viele namhafte Künstler vergangener Tage (John Mayall, Bob Seger, Jackson Browne, Bonnie Raitt, Fleetwood Mac, u.a.) startete mit seinen teilweise außergewöhnlich designten Gitarren (z.B. Reverend) ein derartiges Feuerwerk, dass das Publikum im mittlerweilen leerer gewordenem Saal sich unweigerlich in einen Haufen groovender Blues- und Rock-Fanatiker verwandelte.
Die Drei-Mann-Combo brillierte mit einer ungemein abwechslungsreichen Mischung aus Blues, Swing, Rockabilly, Mambo und Rock'n'Roll, dass es mir ein Dauergrinsen aufs Gesicht zauberte. Die drei Cracks spielten beängstigend gut zusammen. Am Bass übrigens Ricks alter Weggefährte Charlie Harrisson aus der allerersten Rockpalast-Nacht. Erinnert ihr Euch? Roger McGuinn's Thunderbyrd, na klar!
Okay, Rick Vito ist den Eingeweihten natürlich ein Begriff, aber dass der Mann so gut Gitarre spielen kann, mit einer solchen Lässigkeit die halsbrecherischsten Licks darbietet, dass hätte wohl niemand gedacht. Cool! Zudem spielte Vito zumeist mit einem fast glasklaren Ton, so dass die Brillianz seiner Tonfolgen unverschämt deutlich herüberkam. Den Verzerrer schaltete der Meister höchstens mal für seine rasanten Slide-Guitar-Einlagen an, die das Publikum schier aus dem Häuschen gerieten ließen.
So war es denn kein Wunder, dass die Verbliebenen frenetisch um Zugabe bettelten, die letztlich auch bereitwillig und freudestrahlend gewährt wurde. Und wenn ich nicht gewusst hätte, dass da auf der Bühne ein gewisser Rick Vito vom Leder zieht, wäre ich wohl dem Irrtum verfallen, Stevie Ray Vaughan sei auferstanden.
Ich kann nur hoffen, dass bei der im Oktober auszustrahlenden Fernsehaufzeichnung zumindest ein paar Funken dieses kochenden Gigs überspringen und der Liebhaber klassischer Blues- und Rock-Darbietungen sich veranlasst sieht, Rick Vitos Band bei Gelegenheit persönlich zu begutachten. Es lohnt sich!